Bayreuth in Bewegung

Elena Michel

Als ich für mein Masterstudium nach Bayreuth gekommen bin, hab ich nicht damit gerechnet, dass ich länger als zwei Jahre hier bleibe. Inzwischen wurden daraus ganz heimlich still und leise fast schon sechs Jahre. Und alles hat möglicherweise mit einem kleinen leckeren Essen angefangen. Als ich vom Auslandssemester zurück nach Bayreuth kam, nahm mich eine Freundin mit in die Ludwigstraße 24. Damals war das der Standort für das TransitionHaus, ein Ort der Begegnung, wo sich Menschen treffen und Projekte umsetzen, die zu einem sozialen und ökologischen Wandel vor Ort beitragen.

Personen um einen Stadtplan herum

Es war ein Donnerstagabend – also kochte die VolXküche. Und zwar für alle! Jede kann kommen und sich gegen Spende am leckeren Essen bedienen, das mit veganen, regionalen und ökologischen Zutaten von vielen Menschen liebevoll zubereitet worden war. Es war ein buntes Treiben, ob jung oder alt, alteingesessen oder zugezogen. Die Gespräche waren inspirierend und voller Ideen. In Bayreuth kann man noch viel gestalten und bewegen und vor allem, es ist auch noch wirklich viel zu tun. Inzwischen hab ich das Gefühl, Bayreuth IST in Bewegung. Hier herrscht eine Vielfalt ans Projekten und Bewegungen, die in den letzten Jahren entstanden sind, die mir zeigen, dass Bayreuth im Aufbruch ist. Diesen Aufbruch mitzugestalten macht mir unheimlich viel Spaß. Aber es erfordert auch immer wieder Mut und Ausdauer, denn die Strukturen, die ich mit verändern möchte sind vor langer Zeit entstanden. Da braucht es viel Energie.

Diese Energie gibt mir mein Zuhause. Ich wohne in einem elfköpfigen Wohnkollektiv, das sich im November 2019 gegründet hat. Entstanden ist es aus der Saas-WG, in der ich vorher drei Jahre gewohnt habe. Es war ein schwieriger Entstehungsprozess, mit viel Ungewissheit, wer wirklich mit umzieht. Ich hatte damals mit meiner Promotion begonnen und wusste, dass ich die nächsten Jahre mit Sicherheit in Bayreuth wohnen möchte. Doch für viele meiner Mitbewohner war das nicht so klar. Sich dann ein so großes Hausprojekt anzulachen, schien etwas viel Verantwortung. Aber gemeinsam haben wir es geschafft. Viele der Zimmer haben wir in Eigenleistung renoviert, der Garten wird eifrig grüner und schöner umgestaltet und auch die Zeit zum gemeinsamen Frühstück auf dem Balkon kommt nicht zu kurz.

Dennoch sind die beruflichen Aussichten, die sich meine Mitbewohner wünschen würden, auch weiterhin unklar. Wer gesellschaftlich, ökologisch oder politisch arbeiten möchte wird in Bayreuth bisher keine großen Stiftungen oder NGOs finden. Doch ich kenne hier inzwischen einige Menschen, die den mutigen Schritt gewagt haben, einfach das selbst zu schaffen, wovon sie träumen. Ob die solidarische Verbrauchergemeinschaft Hamsterbacke mit ihrem Unverpacktladen oder Carry & Smile und Flinker, die innerstädtische Mobilität CO2-neutral gestalten. Wer aufmerksam ist, wird feststellen, es entstehen neue Unternehmen und Initiativen, die es schaffen, der bayerischen Beamtenstadt ein neues Gesicht zu geben.

Zu dieser Entwicklung hat teilweise die Transformationsplattform forum1.5 beigetragen. Was das ist? Ein lokales Netzwerk, das gemeinsam Lösungsansätze für viele Herausforderungen unserer Zeit entwickelt und sich Gedanken macht, wie Bayreuth und die Region von uns vor Ort zukunftsfähig gestaltet werden kann. Dabei sind die zwei Mal im Jahr stattfindenden Netzwerkveranstaltungen eine gute Anlaufstelle, um Gleichgesinnte zu treffen, mit der eigenen Idee sichtbar zu werden und gemeinsam daraus Projekte zu entwickeln. Hier entstand beispielweise auch die Idee um das Zukunftsquartier Kreuz, das ich seitdem mit begleite. In einem Workshop haben wir überlegt wie Nachbarschaften und Quartiere in Zukunft sein müssten: Wie wir sie nachhaltiger und lebenswerter gestalten können? Wie mehr Miteinander und Nähe entsteht?

Es kamen viele schöne praktische Ideen zusammen und am Ende des Workshops kam der Wunsch auf, das einfach mal hier in Bayreuth umzusetzen. Schon war die Idee geboren. Zufällig wurde vom Stadtplanungsamt gerade eine kommunale Fläche für ein Mehrgenerationenquartier diskutiert. Mit 60 anderen Bürgerinnen und Bürgern machte ich mir an einem Wochenende im Rahmen einer Ideenwerkstatt Gedanken, wie diese Fläche konkret aussehen könnte, wie wir dort gemeinsam wohnen wollen und wie wir ein sozial inklusives, belebtes und buntes Öko-Quartier in Bayreuth gestalten könnten. Das war so eine wundervolle und wertschätzende Atmosphäre. Ich bin mir sicher, wenn dieses Vorhaben tatsächlich in ein paar Jahren umgesetzt wird, dann hat Bayreuth ein Leuchtturmprojekt, das viele junge Menschen, Familien und Ältere anziehen wird. Doch dafür braucht es auch Mut in der Stadtverwaltung, neue Wege zu gehen und dem innovativen Konzept der Bayreuther*innen Vertrauen zu schenken. Bis die Fläche frei wird dauert es allerdings noch ein paar Jahre, wer nicht so lange den Wunsch nach Wohnen in Gemeinschaft aufschieben will, kann auch bei den Wohnträumestammtischen vorbeischauen, die ebenfalls aus dem forum1.5 entstanden sind.

Die Wagnerstadt Bayreuth hat also auch eine Vielfalt an Bewegungen und Initiativen zu bieten, die sonst nicht gesehen wird. In unserem Kollektiv hängt eine Karte von Bayreuth für unsere Besucher und Gäste mit der Überschrift „Bayreuth hat mehr zu bieten als das Festspielhaus…“. Da finden sich viele Geheimtipps von Kulinarik bis Kultur: der urige Biergarten auf der Theta, Möglichkeiten zum konsum- und systemkritischen Einkaufen, Orte zum Reparieren und Werkeln, grünen Orten zum Spazieren und Verweilen – es gibt unter anderem acht Gemeinschaftsgärten in Bayreuth und das Fichtelgebirge und die Fränkische sind wunderschön für längere Ausflüge. Und es gibt neben erfrischende Orte zum Planschen – vom Kreuzer, Trebgaster Badesee oder die Obernsees Therme auch eine erfrischende Subkulturszene: Das Kraut und Rüben, Kino ist Programm, das Glashaus, Hoffeste und viele Musikprojekte. Tatsächlich spielen die Festspiele für mich nur eine untergeordnete Rolle. Die erlebe ich vor allem dadurch, dass unsere temporäre Mitbewohnerin aus Wien, die im Sommer als Maskenbildnerin dort arbeitet, bei uns einzieht. Darauf freue ich mich jedes Jahr.

Jetzt aktuell fühle ich mich angekommen, habe meinen Platz gefunden, um zu wirken, kreativ zu sein, mit anderen begeisterten Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind, hier vor Ort Gesellschaft mit zu gestalten. Bayreuth ist einfach ein schöner Ort, um zu sein.